Und so beginnt der Bericht über den Kriminalfall, der Anfang der 90er-Jahre nicht nur Queensland und Österreich, sondern ganz Australien und Europa in Atem hielt (gegenüber der Buchausgabe leicht veränderte, aber autorisierte Fassung):


Erstes Kapitel

Cairns, Australien, 25.September 1991, Circuit Court
Bevor der Tumult losbricht, sitzt der Angeklagte mit verschränkten Armen ruhig, ohne erkennbare Regung, neben einer Polizistin, deren Haar unter einem breitkrempigen Sheriffhut steckt, auf dem das Wappen des Staates Queensland prangt. Ihre Miene ist ernst und konzentriert, mittlerweile hat sie sich wohl an den Rummel gewöhnt. Sie war heute vorbereitet auf die Journalisten, die Fotografen und darauf, daß der kleine Saal am Tag des Urteils bis auf den letzten Platz besetzt sein und sie neben dem Mann sitzen würde, dem die ganze Aufmerksamkeit gilt. Der Reporter einer Lokalzeitung fixiert den Mann an ihrer Seite, den er seit zwei Wochen beobachtet, dessen Geheimnis er bis heute nicht auf die Spur gekommen ist.
Nur seine Gesichtsfarbe, eine fahle, kranke Blässe, verrät, was in ihm vorgeht. Äußerlich läßt sich der junge Mann sonst nichts von seiner Nervosität anmerken. Manchmal blickt er auf, dreht sich halb zum Zuschauerraum um, dann folgen die Augen der Polizistin seinen Bewegungen und ihre Unterarmmuskeln spannen sich an, sie zuckt leicht, wie eine Dompteuse, die ihre Peitsche fester umklammert, wenn das Raubtier eine nicht einstudierte Haltung einnimmt.

Doppelmord und Diebstahl der Jacht "Immanuel" lautet die Anklage gegen Johann Manfred Weissensteiner, dessen richtiger Name "Weißensteiner" lautet, im Englischen jedoch mit "ss" geschrieben wird. Den Vornamen Johann verwendet er selbst nie, er nennt sich Manfred. Den 25-jährigen Österreicher, beschrieb der Sydney Morning Herald vor zwei Wochen, zu Beginn des Prozesses, so: "der klassische Pin-up Boy: stark gebräunt, blondes Haar, blaue Augen, muskulös." [i]
Seine Lider sind geschwollen, er dreht den Kopf zur Seite als die Tür aufgeht und der Gerichtsdiener in einem blauen Anzug zum Richtertisch schreitet. Sofort wird es still im Saal. Der Angeklagte wendet sich dem Mann zu, die Polizistin folgt seinem Blick in ihrer angespannten, leicht vorgeneigten Haltung. Die Jury, teilt der Gerichtsdiener den Anwesenden mit, wobei er sich verhaspelt und zu stottern beginnt, sei noch zu keinem Ergebnis gekommen. Eine kleine Weile verharrt er noch in seiner würdevollen Position vor dem erhöhten Richtertisch, seine Gesichtsfarbe verdunkelt sich, dann räuspert er sich und verläßt den Saal ungeachtet des Murrens im Publikum.
Die Polizistin wechselt einen Blick mit ihrem Kollegen, wortlos führen die beiden dann den Angeklagten aus dem Saal, vorbei an knarrenden Holzbänken, die besetzt sind von Verwandten der Opfer, von Freunden und Bekannten aus der Jacht- und Aussteigerszene von Cairns, von internationalen Presseleuten und Neugierigen. Seit Wochen wartet man auf diesen Tag, nicht einmal so sehr auf das Urteil, denn fast jeder rechnet mit einem Freispruch. Man hofft auf die erste Gefühlsregung desjenigen, der des zweifachen Mordes an seinen Freunden, einem Liebespaar, beschuldigt wird.
In den vergangenen zwei Wochen - während des gesamten Prozesses - zeigte er keine Reaktion auf die Zeugenaussagen. Und er schwieg zu den Vorwürfen.
Die Oberlichte der hohen Rundbogenfenster sind gekippt, schwach dringt der Geruch von Zigaretten- und Zigarrenrauch in den Saal. Auch der Reporter und sein Fotograf beschließen den Vormittag wie die meisten Zuhörer vor dem Gerichtsgebäude auf den Bänken unter Eukalyptusbäumen zu verbringen. Sie trinken Kaffee aus Pappbechern und unterhalten sich in gedämpfter Tonlage.
"Netter Junge, den sie da abtakeln. Ich glaube, der bekommt nicht viel mit von dem, was vorgeht", sagt der Fotograf.
Der Reporter nimmt einen Schluck aus seinem Trinkbecher, verzieht das Gesicht und spuckt den Kaffee unter einen Bougainvilleastrauch. "Eigentlich sollte ich schon längst wieder in der Redaktion sein. Das muß doch ein glatter Freispruch sein, ich weiß nicht, worüber die so lange nachdenken."
Nervös sieht er auf seine giftgrüne Swatch, macht sich eine kurze Notiz in den Terminkalender und betrachtet dann verträumt einen kleinen grauen Vogel, der zwitschernd auf der Steinumrandung des Blumenbeetes herumhüpft. Er denkt über einen Titel für die Story über den Freispruch nach, die er schon Wort für Wort im Kopf hat.
"Merkwürdige Geschichte das mit den Prophezeiungen, nicht wahr? Was hältst du
davon?" will der Fotograf wissen.
...

[i]Sydney Morning Herald, 7.9.1991

| ^ nach oben ^ |

[XHTML 1.0] [CSS]